Wilhelm Strödter,  Kriegstagebuch 1914 
Feldpost

[Stempel - Namslau 10.8.15. 5-6-N ]

Namslau, den 6. Aug. 1915

Mein lieber Herr Strödter,

da ich schon gern einmal etwas von Ihnen gehört hätte, so hat mich Ihr Brief + Ihre Dose mit Honig  sehr erfreut. Herzl. Dank für beides. Besonders letzteres konnte ich sehr gut verwenden, da hier wie an anderen Orten Schmalhans Küchenmeister ist.
Wie Sie wohl bemerkt haben, bin ich nicht mehr in Krieg, sondern im Brüderkloster Namslau. Hier befindet sich ein mediko-
mechanisches Institut, worin - mit Hilfe von Maschinen - mein ungelenkiger Fuß wieder gelenkig gemacht werden soll. Ich glaube aber kaum, daß dieses Experiment gerät, denn ein durchschossenes Gelenk ist so verwachsen, daß keine Bewegung mehr gemacht werden kann. - Am 2. Mai begann unsere Aktion in Galizien, nachdem wir vorher 14 Tage im Elsass  zur "Erholung" lagen. Am 3. Mai bekam ich einen  Streifschuß an die Backe; dieser war in wenigen Tagen wieder heil, da die Kugel am Backenknochen abgeprallt war.  - Nun ging es immer hinter den Russen her, fast ohne viel Widerstand zu finden. Am 14. Mai gingen wir wiederholt durch entsetzliches Granat + Schrapppelfeuer. Die Russen hatten vor Jaroslau eine stark verteidigte  + befestigte Stellung eingenommen. Gegen Abend kam, als der Oberst + sein Stab gefallen war, der Regimentsbefehl: Es soll energisch angegriffen werden . Mit Mühe + Not rette sich unser Bataillon in eine Lehmgrube, in der sich eine Ziegelei befand. Keiner wäre davon gekommen, hatten wir diese Anhöhe hinabgemußt. Heute noch wundert es  mich, daß wir an diesem  Tag keinen Verwundeten oder Toten hatten. Am 15. Mai, morgens um 3 Uhr ging ich mit 6 Kameraden auf Patrouille, um zu erkunden, ob sich die Russen zurückgezogen oder die Stellung noch verteidigen. Von einem hohen Baum, den die Kugeln umschwirrten, bemerkte ich die stark besetzte Stellung.
Die Gräben starrten von Gewehrläufen, sogar eine Menge kleiner betonierter Forts hatten sie schon in früherer Zeit wohl, gebaut. Also würde es Widerstand geben! Nachmittags begann die Artillerie ihr mächtiges Konzert. Wir sollten in Brigade- Reserve liege. Nun wollte sich unser Major wohl etwas besonderes leisten. Unsere Kompanie ging als erste zum Angriff auf einen Eisenbahn- Übergang vor - zwischen einem hohen Bahndamm + einer Böschung [ Zeichng.]. In diesem Einschnitt gingen wir sprungweise - einer hinter dem anderen  - vor , vom heftigsten Infanterie - und Maschinengewehr- Feuer empfangen. Natürlich fiel einer nach dem anderen, man fiel förmlich über Tode + Verwundete. Auf 50 m herangekommen warfen sie Handgranaten, ich sehe im Geiste heute noch, wie unsere Leute vom Bahndamm kollerten. Da bekam ich, nach einem Sprung am Bahndamm liegend, einen Querschläger durch das rechte Fußgelenk. Ich sah nach meinen Fuß, da ich das Gefühl hatte, mir hätte jemand mit einem Knüppel darauf geschlagen. Ein Kamerad verband mich + ich blieb die ganze Nacht liegen. Bald kamen die Russen vor, durchsuchten auch mich, nahmen Messer, Revolver, Ring usw. an sich. Habe ich da in einer Todesangst geschwebt ! Erst unserer Artillerie vertrieb die Bestien, die mir vielleicht sonst das Leben genommen hätten. Am nächsten Morgen kam ich erst zum Verbandplatz. Wie es weiter ging, werde ich Ihnen ein anderes mal erzählen. Machen Sie von diesem Brief weitgehendsten  Gebrauch  und Sie ihn Thielmanns, Gerz, Polizeis, Beckers lesen, welche ich allen zu grüßen bitte.

Grüßen Sie Ihre ganze Familie, auch auf der Faulbach,. Wie geht es Ihrem Schwager Fritz + Ihren Brüdern ?  
Ich gehe schon mit 2 Stöcken + hoffe bald in mein Heimat- Lazarett zu kommen. Mit vielen herzlichen Grüßen. Ihr Anton Kilber. [ Hilber ? ]