800 Jahre Grenzau

Grenzau und die herausragende Bedeutung seiner Töpfer in der Renaissance und im Barock

Vortrag von Gerd Kessler aus Anlaß des 800-Jahrjubiläums
und zur Ausstellung der Fundstücke im Keramik- Museum – Westerwald, Höhr-Grenzhausen

In der Grenzauer Schulchronik findet sich im Jahr 1878 folgende Eintragung: “alte Tontöpfe in schöner blauer Farbe werden ausgegraben”. Im Jahre 1883 wieder eine Eintragung: “es werden wieder alte Töpfe (1590 – 1700) ausgegraben”.

Ich habe dies in meinem Buch 2002 so kommentiert: “Bedauerlich ist die beklagenswerte Unkenntnis des Grenzauer Schullehrers, der, mitten im traditionsreichen Kannenbäckerland wohnend, keine Ahnung von Steinzeug zu haben schien”. Heute glaube ich, doch zu harsch geurteilt zu haben, wenn ich mir vorstelle, wie es wohl heute um die Vermittlung der Geschichte der Keramik in unserer Stadt und deren Bedeutung auch für die Gegenwart steht.

In seinem Büchlein Die Burg Grenzau und ihre Bewohner schrieb 1907 Peter Dümler, daß zu Beginn der 1680er Jahre prachtvolle Krüge und Kannen in dem 1621 erbauten Haus der Familie Kalb in “Masse” ausgegraben wurden.

Im Jahre 1829 wurde in Gent die Sammlung von Keramiken der Renaissance des Rechtsanwaltes und Kunstsammlers Joand’ Huyvetter veröffentlicht, die in breiten Kreisen offensichtlich großes Interesse hervorrief und eine Reihe von Kunstliebhabern zum Sammeln anregte. Von der Sammlung d´Huyvetter existieren ca. 100 Abbildungen in Kupferstich. Man hatte zu dieser Zeit keine Kenntnisse über die Herkunft dieser Keramik und bezeichnete sie generell als Flandrisches Steingut. Einige Jahre vor der Veröffentlichung hatte sich bereits Alex Brongniart die Sammlung angesehen und dabei die Vermutung geäußert, daß die Stücke nicht aus Flandern, sondern aus dem Rheinland stammten. Brongniart war Direktor der Porzellanmanufaktur Sêvre und einer der angesehensten Keramiker seiner Zeit. Trotzdem fand seine Vermutung unter Kunstliebhabern wenig Beachtung.

Erst die intensiven Forschungen in der zweiten Hälfte des 19.Jh. von Dornbusch in Siegburg und nach seiner Anregung vor Schmitz in Raeren bei Aachen brachten Licht in die Herkunft dieser so geschätzten Keramiken. Dornbusch hat zwar auch auf den Westerwald als Herkunft künstlerischen Steinzeugs (damals nannte man es noch “Steingut”) hingewiesen, aber der Schwerpunkt der Forschung lag zuerst auf Siegburg und Raeren. Dies änderte sich erst als Ernst Zais aus Wiesbaden die ersten Ergebnisse seiner Grabungen in Grenzau, Grenzhausen, Höhr und Hilgert ausgewertet hatte. Er konnte als Erster schlüssige Beweise zur Herkunft eines großen Teiles der wertvollen Keramiken, die in Sammlungen und Museen zunehmend an Verbreitung gewonnen hatten, liefern.

Seine Erkenntnisse sind im zweibändigem Werk von Otto v. Falke, dem Direktor des Kölner Kunstgewerbemuseums, von 1907 erschienen. Dort finden sich auch die dokumentarischen Hinweise auf die Wanderungen der Raerener Töpfer in das Kannenbäckerland und speziell nach Grenzau.

Zais hat nicht nur Grabungen durchgeführt, sondern parallel die Archive in den zugehörigen Territorialgebieten nach Dokumenten durchforscht. Bruchstücke und auch intakte Gefäße konnten vielfach dokumentarische Informationen untermauern. Gründliche Kenntnisse der künstlerischen Stilrichtungen der Renaissance und des Barock, und auch seine Kenntnisse der Hauptsächlichen Töpferzentren des Rheinlandes befähigten ihn, seine Funde auch nach ihren gestalterischen Merkmalen zu beurteilen.

Aufgrund seiner Forschungen wissen wir von der Übersiedlung von Mitgliedern der Mennickenfamilie aus Raeren nach Grenzau. Bruchstücke mit den Initialen IE und IM wurden in großer Anzahl gefunden. Die Jahreszahlen 1588 bis 1598 lassen darauf schließen, dass zumindest ein Meister dieser Familie in Grenzau gearbeitet hat, bevor sich weitere Mitglieder um 1600 und danach sich in Grenzau und den Nachbarorten niederließen.

Ebenfalls nachweisbar ist das Wirken des Meisters Johann Kalb, von dem die von den Kunsthistorikern des 19.JH.sogenannten “Riesenkannen” oder “King of Vases”, die im 19.Jh. so hohe Anerkennung fanden, daß sie von den führenden Museen Europas aufgekauft wurden, wie überhaupt die Sammlungen dieser Zeit, von denen wir heute wissen, dass sie zu einem großen Teil aus Grenzau stammen.

Die Raerener Meister hatten schon ca. drei Jahrzehnte vor ihrer Übersiedlung nach Grenzau Keramiken im Stile der Renaissance in großer Vollendung geschaffen. Typisch sind die Kannen und Krüge mit einem zylindrischen Mittelfries auf dem ganze biblische Geschichten in erhabener Ornamentik dargestellt sind. Vielfach findet man auch die Darstellung von Wappen der damaligen Adelshäuser oder der Kurfürsten des Deutschen Reiches.

Die meisten Gefäße waren noch in brauner Engobe und salzglasiert ausgeführt. Ende des 16ten Jh. kam das in Sachsen gewonnene Kobaltblau auch für Steinzeug in Gebrauch und sorgte fast schlagartig für eine Änderung der Geschmacksrichtung hin zum Grau-Blau.

Die Raerener Töpfer brachten diese Neuerung mit nach Grenzau zusammen mit ihren Formen und Modellen, so dass in Grenzau die ursprüngliche braune Ware nie hergestellt wurde. Dies im Gegensatz zu den Knütgens aus Siegburg in Höhr, die in den ersten Jahren die ihnen vertraute weiße Ware noch einige Jahre nach ihrer Ankunft dort herstellten.

Nach der überwältigen Zahl von mit IE oder IEM in den Reliefbelägen gezeichneten Keramiken muss es sich bei Jan Emens (Mennicken) um den überragenden Künstler des Steinzeugs der Renaissance gehandelt haben. Ob er nach Grenzau mit übersiedelt ist. wird zwar nicht ausgeschlossen, ist aber nicht zu beweisen. Auf jeden Fall sind seine Nachkommen mit den ersten Übersiedlern nach Grenzau gekommen. Es finden sich Bruchstücke mit den Initialen IE in großer Zahl bei den Grenzauer Funden, was darauf schließen lässt, dass die Nachkommen noch lange Gebrauch von den Modellen der Reliefbelägen in Grenzau gemacht haben .

Im Jahre 1614 hat sich dann Bertram Knütgen in Grenzau mit seiner Töpferei niedergelassen. Er war seit 1603 Zunftmeister in Höhr, wo er sich wahrscheinlich nicht mehr mit seinen jüngeren Halbbrüdern verstanden hatte. Graf Ernst von Isenburg–Grenzau hatte ihm ein gutes Angebot in form eines Bauplatzes und anderer Privilegien gemacht, was ihm die Entscheidung sicher sehr erleichtert hatte. Mit ihm fanden dann auch Siegburger Gestaltungselemente Eingang in das Grenzauer Steinzeug.

Der Geschmacks- und Stilwandel von der Renaissance zum Barock fand auch bei den Töpfern in Grenzau seinen Niederschlag. Scherbenfunde mit den vielfältigsten Dekorationsmerkmalen auf den zunehmend kugeligen und birnförmigen Gefäßformen zeugen von dem Erfindungsreichtum und dem Gestaltungstalent der Grenzauer Töpfermeister des 17.Jahrhunderts .

Die Raerener Töpfer hatten nicht nur ihre Fähigkeiten in Kunst und Handwerk mitgebracht, sondern auch ihre weitgehende Handelsverbindungen. Rheinisches Steinzeug wurde damals in der Regel über niederländische und niederrheinische Händler nach England exportiert. Von diesen Verbindungen werden die Raerener auch von Grenzau aus Gebrauch gemacht haben, wie sonst wäre die fast übergangslose Entwicklung von der Gründung bis zu einem blühenden Geschäft eines Handwerkbetriebes innerhalb von eines oder zweier Jahren möglich gewesen.

Neben den Absatzgebieten in den Niederlanden und England spielten auch die in der Schweiz und natürlich auch im damaligen Reichsgebiet eine große Rolle, wie Untersuchungen von Andreas Heege und Baron Döry ergeben haben.

War die Bedeutung des Westerwälder Steinzeugs des 16. und 17.Jh. einem Teil der Fachwelt wohl bewusst, so müssen die neuerlichen Forschungen, die sich mit den Exporten in das koloniale Nordamerika befassen, zu einer vollkommen neuen, noch höheren Bewertung dieser Keramiken als eines angesehenen Kulturgutes, führen.

Die Tür zu diesen Forschungen wurde von David Gaimster vom Britischen Museum mit seinem umfassenden Werk “German Stoneware 1200 – 1900” aufgestoßen (1997). Jannet Skerry, Suzanne Findlen-Hood, Kuratorinnen des Museums in Williamsburg und Christoph Kühne von der Universität Göttingen haben die Forschungen aufgenommen. Beverly Sträube Archäologin der ersten englischen Siedlung in Jamestown/Virginia haben sie weitergeführt. Von ihnen wissen wir, daß Westerwälder Steinzeug im 17.Jh. Virginia und die Nachbarprovinzen geradezu “überschwemmt” hat. Kühne hat ca. 3000 Bruchstücke von Westerwälder Steinzeug aus Fundstellen in Virginia dokumentiert.

Als für Grenzau besonders interessante Einzelfunde sind die Bruchstücke eines Kruges mit der Geschichte des verlorenen Sohnes zusehen, der von Beverly Sträube dokumentiert und restauriert wurde. Fundort ist Jamestown/Va.

Er ist einwandfrei Grenzau zuzuordnen, was bei Falke nachzulesen ist. Ein weiterer Fund stammt aus einem Indianergrab um 1650, in dem eine Sternkanne und ein kleiner Krug gefunden wurden, wovon erstere mit hoher Wahrscheinlichkeit und der Krug mit Bestimmtheit Grenzau zuzuordnen ist.

Zusammenfassend sollte man nach diesen Erkenntnissen heute nicht mehr davon ausgehen, dass in Grenzau nur “auch getöpfert wurde”, sondern Grenzau zu Beginn des 17.Jh. der Mittelpunkt der künstlerischen Steinzeugherstellung war und auch in den folgenden Jahrzehnten des 17.Jh. eine maßgebende Stellung auf diesem Gebiet inne gehabt hat.

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Anm.: Gerd Kessler, Mitglied im DZK und im Förderkreis des Keramikmuseums, August 2011. Eine ausführliche Liste findet sich in seinem  Buch “Zur Geschichte des Rheinisch-Westerwäldischen Steinzeugs”Außerdem: “Salzglasiertes Historisches Steinzeug Sammlung des Keramikmuseums Westerwald”